Schule in Haselau Unterseite 2
"Der Schulbesuch lässt noch viel zu wünschen übrig“
Sonderausstellung 2023
„Schule in Haselau – Also lautet der Beschluss, dass der Mensch was lernen muss“
Die Schulordnungen des 18. Jahrhunderts verfolgten in erster Linie das Ziel, die Jugend zu frommen, gottesfürchtigen Menschen zu erziehen, die die christlichen Werte als Verhaltensregeln für den Umgang mit anderen Menschen anerkannten. Vor allem Wohlverhalten gegenüber Eltern, Lehrern, Geistlichen und der Obrigkeit sollte erlernt werden. Dieses Ziel versuchten die Lehrer durch massives Einüben von Gebeten, Psalmen, Kirchenliedern, biblischer Geschichte und Katechismus zu erreichen. Infolgedessen wurde dem Religionsunterricht der größte Teil der Unterrichtszeit gewidmet.
Mit der Aufbruchstimmung in der Epoche der Aufklärung des 18. Jahrhunderts, die die Kraft des menschlichen Verstandes und seine Vernunft an die Stelle von Religion, Aberglauben und Tradition stellte, verbreitete sich auch in den Herzogtümern Schleswig und Holstein die Überzeugung, dass die Missstände in der hiesigen Schulbildung dringend behoben werden müssten. Unzureichende Lehrerbildung, schlechte Lehrerbesoldung, mangelhafte Unterrichtsräume und unregelmäßiger Schulbesuch sollten nicht länger der Bildung der Bevölkerung im Wege stehen.
Unter der Federführung des Superintendenten von Schleswig und Holstein, Jakob Georg Christian Adler (1756-1834), wurde am 24. August 1814 unter dem Namen „Allgemeine Schulordnung für die Herzogthümer Schleswig und Holstein” eine Schulreform ins Leben gerufen, die die bisherigen Unzulänglichkeiten auf dem Bildungssektor grundlegend beseitigen sollte. 1817 wurde die neue Schulordnung auch für die Region Pinneberg übernommen.
Ging es im Schulunterricht des 18. Jahrhunderts im Wesentlichen um das Auswendiglernen, so hatte die Schulreform von 1814 das Ziel den Verstand der Schüler anzusprechen und zu entwickeln und ihnen praktische Fähigkeiten zu vermitteln.
Man war sich jedoch bewusst, dass die Schulreform nur dann erfolgversprechend sein konnte, wenn die Lehrerausbildung verbessert und den Kindern ein regelmäßiger Schulbesuch ermöglicht werden würde. Letzteres versuchte man in der neuen Schulordnung dadurch zu unterstützen, dass künftig alle Bürger der Gemeinde Schulgeld zu zahlen hatten, und nicht mehr nur diejenigen, deren Kinder am Unterricht teilnahmen.
Um den Fortschritt der Reform verfolgen zu können, wurden jährliche „Spezialvisitationen” abgehalten. Alle drei Jahre wurden zudem „Generalvisitationen” vorgenommen, die unter der Aufsicht des Generalsuperintendenten standen. Die Ergebnisse hielt man in Visitationsberichten fest.
25 Jahre nach Einführung der „Allgemeinen Schulordnung” diente der Bericht den geistlichen Schulinspektoren und der obrigkeitlichen Verwaltung als Gradmesser für den Erfolg der Schulreform von 1814.
Die visitierten Schulen. Zur Propstei Pinneberg gehörten damals 60 Schulen in der Region zwischen Elbe, Krückau und der Stadt Hamburg. Die Propstei bestand aus den zehn Kirchspielen Haselau, Haseldorf, Niendorf, Nienstedten, Ottensen, Quickborn, Rellingen, Seester, Uetersen und Wedel. Die „Prediger” (Pastoren) dieser Kirchspiele führten die Visitationen der Schulen vor Ort durch.
Die Lehrerausbildung. Die im Visitationsbericht beurteilten Lehrer unterschieden sich durch ihre Ausbildung. 1781 wurde in Kiel das erste Lehrerseminar in den Herzogtümern mit zunächst nur 13 Seminaristen eröffnet. 15 der in den Schulen der Propstei Pinneberg angestellten Lehrer hatten diese Ausbildung genossen, darunter einer in Haselau ohne Examen. Das Kieler Seminar galt vielen Geistlichen und Adligen des Landes als zu aufklärerisch und progressiv. Nachdem dort 570 Lehrer ausgebildet worden waren, wurde es 1823 geschlossen. Die Nachfolge trat das 1752 gegründete „Schulmeister Institut” in Tondern an, das 1787 in ein Seminar umgewandelt worden war. Dort waren 35 der in der Propstei Pinneberg angestellten Lehrer ausgebildet worden. Die damalige Seminarpolitik und die sprunghaft anwachsende Schülerzahl riefen einen akuten Lehrermangel hervor, der das Autodidaktentum förderte. 15 der in der Propstei Pinneberg angestellten Lehrer hatten keine Ausbildung. Ebenso stieg die Zahl der „Gehülfen” ohne Ausbildung, die in den Elementarklassen unterrichteten. Als berufsfremde Lehrer gab es in Pinneberg einen Studenten der Theologie und einen Unteroffizier.
Schulräume und Schülerzahlen. In der Regel hatten die Schulhäuser 1839 nur eine Wohnung für die Familie des Lehrers und einen einzigen Unterrichtsraum. Nur wenige Schulen hatten zwei Unterrichtsräume, einen für die Oberklasse und einen für die Elementarklasse. Ausnahmen bildeten die Fleckenschulen in Uetersen und Wedel. Beide hatten je eine Oberklasse und zwei Elementarklassen, also drei Unterrichtsräume. Außerdem gab es in Uetersen eine Privatschule (Kolpins Institut) für nur elf Schüler. Die Raumgröße stand je-doch nicht immer in einem proportionalen Verhältnis zur Schülerzahl. Die durchschnittliche Fläche pro Schüler betrug 0,3 m² in Hohenhorst bis 1,3 m² in Klevendeich. Der Raum für den Lehrer und sein Katheder, für einen Ofen, Gänge zwischen den Schulbänken, eine Tafel und andere Unterrichtsmaterialien müssen von diesen Flächen noch abgezogen werden. So ist ersichtlich, dass ein Unterricht bei vollständiger Anwesenheit aller Schüler in vielen Schulen gar nicht durchführbar war.
Der Schulbesuch. Den größten Mangel im Schulsystem stellte nach Ansicht der Visitatoren der unregelmäßige Schulbesuch der Kinder dar. Obwohl die neue Schulordnung die Eltern der schulpflichtigen Kinder finanziell entlastete, ließen viele der einkommensschwachen Familien ihre Kinder weiterhin in der Landwirtschaft arbeiten, anstatt sie in die Schule zu schicken. Fast alle Schulen der Propstei Pinneberg hatten unregelmäßigen Schulbesuch zu verzeichnen. Es wurde zwischen „Winterschule” und „Sommerschule” unterschieden. Während des Winterhalbjahrs war der Schulbesuch regelmäßiger, im Frühling jedoch ging er schnell zurück. In manchen Orten wurde aus verschiedenen Gründen gar keine Sommerschule abgehalten.
Die Winterschule. Um Michaelis (29. September) oder Martini (11. November) begann in den meisten Orten die „Winterschule”. Der landwirtschaftliche Jahreszyklus erlaubte jetzt den meisten Familien den Verzicht auf die Kinderarbeit. Bis Ostern, also ungefähr fünfeinhalb Monate lang, konnte nun in vielen Orten „Winterschule” gehalten werden. Allerdings ging der Schulbesuch ab März bereits wieder Ordnung gehalten wurden. Dieser Mangel wurde noch verstärkt, wenn bei Regenwetter oder Schnee „tiefe Wege” entstanden, die besonders die kleinen Kinder vom Schulbesuch abhielten. Frost in den Füßen entstehe durch Mangel an Schuhen und Stiefeln. Die Kinder trugen auch im Winter oft nur hölzerne Pantoffeln.
Kinderarbeit. Kinder aus armen Familien blieben häufiger dem Unterricht fern, weil sie möglicherweise bereits ab dem sechsten Lebensjahr „ihr Brod selbst verdienen” mussten. Einige fehlten, „weil sie Brennholz sammeln” mussten. In Haselau wurde die Winterschule von nur 25 Kindern im Alter bis zu zehn Jahren besucht, während die 26 älteren Kinder „dienen und arbeiten” mussten.
Die Sommerschule. War es um den regelmäßigen Besuch der Winterschule schon nicht gut bestellt, so wurde der Schulpflicht während des Sommerhalbjahres noch seltener nachgekommen. Der Pinneberger Propst bemerkte dazu: „Einführung geregelter Sommerschulen ist bei der Art der hiesigen Landwirtschaftung nicht zu ernsten. Selbst die kleinen Kinder unter 8 Jahren in der Schule zu halten ist schwer. Auch der Versuch die größeren Kinder an einem Wochentage in den Mittagsstunden in der Schule zu sammeln, scheint nicht zu gelingen.”
In sieben Schulen der Propstei fand gar keine Sommerschule statt, so auch in Haselau. In Haselau scheiterte der Versuch, die Sommerschule an nur einem Wochentag abzuhalten, weil „man meinte, K[inder] lernen im Sommer doch nicht viel”. In den anderen Orten wurde zwar Sommerschule gehalten, jedoch in einem sehr kleinen Rahmen. Viele Sommerschulen endeten bereits um Pfingsten oder zu Beginn der Ernte. Die Beteiligung beschränkte sich zumeist auf Kinder bis zu zehn Jahren. Die älteren waren oft schon nach Ende der Winterschule voll in der Landwirtschaft tätig. Während die älteren Jungen die Sommer-schule versäumten, weil sie in der Landwirtschaft arbeiten mussten, standen für die älteren Mädchen in einigen Orten „Näh- und Strickschulen” in Konkurrenz zur Landschule.
Dispensationen vom Sommerschulbesuch konnten durchaus durch die Prediger genehmigt werden. Die dispensierten Schüler sollten dann zumindest einige wenige Stunden an einem Tag in der Woche zum Unterricht erscheinen, aber auch das wurde offenbar selten eingehalten.
Fazit und Ausblick. Erst in preußischer Zeit ab 1867 sollte der Bau von Schulhäusern soweit gefördert werden, dass auch wirklich jedes schulpflichtige Kind einen festen Platz auf einer Schulbank einnehmen konnte. Der Schwerpunkt des Unterrichts lag 1839 immer noch im Fach Religion. Das mag vor allem an der Lehrerausbildung im Tondernschen Seminar gelegen haben, in dem die meisten Lehrer der Propstei Pinneberg ihre Ausbildung genossen hatten. Naturwissenschaftliche Fächer sollten sich erst zum Ende des 19. Jahrhunderts in den Landschulen durchsetzen. Der unzureichenden Lehrerbildung wurde mit der Einrichtung weiterer Seminare begegnet. Neben dem bestehenden Seminar in Tondern wurde 1839 ein weiteres in Segeberg und 1858 eines in Eckernförde gegründet, 1873 das in Uetersen.
Auszug aus Beirat für Geschichte „didaktisches Forum“ von Michael Plata über die Generalschulvisitation 1839 in der Propstei Pinneberg
Titelbild Jobs als Schulmeister, Gemälde von Johann Peter Hasenclever, 1845: ironische Darstellung des Unterrichts in einer preußischen Dorfschule des 19. Jahrhunderts