2022 Sturmflut 1962 - II

Erstmaliger Bundeswehreinsatz

Während der Sturmflutkatastrophe am 16. und 17.Februar 1962 wurden die Soldaten aus den Kasernen Appen und Pinneberg des Luftwaffenausbildungsregimentes 1 zur Hilfeleistung in dem gefährdeten Gebiet der Marschgemeinden eingesetzt.

Die Soldaten waren erst einige Wochen, seit Januar 1962 einberufen worden, als Ihnen die Gefahr an Flüssen und Deichen den vollen Einsatz abverlangte.

Mit entfesselnder Gewalt durchbrach der „Blanke Hans“ an vielen Stellen den Deich, glücklicher Weise hielten die Deiche der Haseldorfer Marsch.

Als die Gefahr einer weiteren Sturmflut vorüber war, halfen die Soldaten bei der Deichsicherung und den Aufräumarbeiten.

Eine Woche nach der Sturmflut sind 1.000 Rekruten in der Haseldorfer Marsch unmittelbar am Ufer der Elbe, am Kreuzdeich vereidigt worden.

Angetreten waren auch die Männer der Feuerwehr, anderer Hilfsorganisationen und viele Einwohner der Gemeinden. Damit wurde die Zusammengehörigkeit zu den Soldaten besonders bekundet. Es war eine beeindruckende Vereidigungsfeier für alle Anwesenden, besonders aber für die Soldaten aus dem Binnenland.

Der damalige Regimentskommandeur, Oberst Hoppe, sagte „Euer Eid und Euer Gelöbnis am Deich in der Haseldorfer Marsch haben einen besonderen Sinn, hier habt Ihr in den vergangenen Tagen durch Euren Einsatz gelernt und gezeigt, was dienen heißt“.

Unmittelbar nach der Vereidigung wurden die Arbeiten fortgesetzt: Deichsicherung und Aufräumungsarbeiten sowie Faschinenbau standen auf dem Dienstplan.

Seit 1962 ist ein ständiger Kontakt mit den Marschgemeinden entstanden. Die Deicheinweisungen und Deichschutzübungen der Kompanien in ihren zugewiesenen Sicherungsabschnitten wurden Teil des Ausbildungsauftrags, der damaligen 5. Kompanie bekam den Deichsicherungsabschnitt Hohenhorst – Mühlenwurt mit dem Deichgrafen Hermann Holst zugeteilt. Seine Statur und seine fachmännischen Einweisungen entsprachen voll und ganz dem Ideal eines Deichgrafen.

Als Dank und Anerkennung erhielt das Regiment 1965 ein Fahnenband für die Bewährung in der Sturmflut.

Ansprache vom Oberst bei der Vereidigung der Soldaten, bei der auch die Feuerwehren und andere Hilfsorganisationen anwesend waren.
Dem Oberst werden die angetretenen Rekruten und Feuerwehren gemeldet.
Bei der Vereidigung waren auch viele Prominente anwesend. Mit dem schwarzen Hut der Oberdeichgraf Johannes Plüschau.

Aus einer Chronik

1962 vom 16. auf den 17. Februar wurden die Deich schwer beschädigt, hauptsächlich auf der Strecke von Hohenhorst bis nach Altendeich, hier bei der Schleuse lief das Wasser über den Deich. Die Stelle wurde mit Sandsäcken belegt und beherzte Männer setzten sich darauf, hierbei hat sich Paul Röhl, Altendeich, besonders tapfer gezeigt.

Die Bundeswehr mit sechs Kompanien Soldaten sowie die Einwohner und Freiwillige Feuerwehren haben in vorbildlicher, kameradschaftlicher Zusammenarbeit in fast 7-tägiger Arbeit mit 14.000 Sandsäcken die beschädigte Deichstrecke abgedeckt. Der Sand hierfür wurde von Heist und Holm durch Fahrzeuge der Bundeswehr herangefahren.

Menschenleben waren Gott sei Dank nicht zu beklagen.

In Moorrege lief das Wasser über den Sommerdeich, die Ländereien in Bauland standen unter Wasser. Es entstanden Gebäude- und Sachschäden orkanartiger West-Nordweststurm getobt. Welcher große Schäden an den Dächern den, 20 Schweine ertranken in den Ställen.

Vor der Katastrophe hatte tagelang ein Nord-Nordweststurm getobt, welcher große Schäden an den Dächern und Gebäuden, sowie in den Gehölzen und Forsten verursachte.

Dieser tagelang anhaltende Sturm hatte zur Folge, dass das Wasser zur Zeit der Ebbe in die Nordsee und den hierin mündenden Flüssen nicht mehr genügend abfließen konnte und deshalb so hoch anstieg und zur Katastrophe wurde.

Der junge Klaus Semmelmann steht auf der Wange der vollkommen zerstörten Stöpe in Moorrege.

Trutz Blanke Hans

Detlev von Liliencron

Trutz, Blanke Hans

Heut bin ich über Rungholt gefahren,
Die Stadt ging unter vor sechshundert Jahren.
Noch schlagen die Wellen da wild und empört,
Wie damals, als sie die Marschen zerstört.
Die Maschine des Dampfers schütterte, stöhnte,
Aus den Wassern rief es unheimlich und höhnte:
Trutz, Blanke Hans.
Von der Nordsee, der Mordsee, vom Festland geschieden,
Liegen die friesischen Inseln im Frieden.
Und Zeugen weltenvernichtender Wut,
Taucht Hallig auf Hallig aus fliehender Flut.
Die Möwe zankt schon auf wachsenden Watten,
Der Seehund sonnt sich auf sandigen Platten.
Trutz, Blanke Hans.

Mitten im Ozean schläft bis zur Stunde
Ein Ungeheuer, tief auf dem Grunde.
Sein Haupt ruht dicht vor Englands Strand,
Die Schwanzflosse spielt bei Brasiliens Sand.
Es zieht, sechs Stunden, den Atem nach innen
Und treibt ihn, sechs Stunden, wieder von hinnen.
Trutz, Blanke Hans.

Doch einmal in jedem Jahrhundert entlassen
Die Kiemen gewaltige Wassermassen.
Dann holt das Untier tief Atem ein,
Und peitscht die Wellen und schläft wieder ein.
Viel tausend Menschen im Nordland ertrinken,
Viel reiche Länder und Städte versinken.
Trutz, Blanke Hans.

Rungholt ist reich und wird immer reicher,
Kein Korn mehr faßt der größeste Speicher.
Wie zur Blütezeit im alten Rom,
Staut hier täglich der Menschenstrom.
Die Sänften tragen Syrer und Mohren,
Mit Goldblech und Flitter in Nasen und Ohren.
Trutz, Blanke Hans.

Auf allen Märkten, auf allen Gassen
Lärmende Leute, betrunkene Massen.
Sie ziehn am Abend hinaus auf den Deich:
Wir trotzen dir, blanker Hans, Nordseeteich!
Und wie sie drohend die Fäuste ballen,
Zieht leis aus dem Schlamm der Krake die Krallen.
Trutz, Blanke Hans.

Die Wasser ebben, die Vögel ruhen,
Der liebe Gott geht auf leisesten Schuhen.
Der Mond zieht am Himmel gelassen die Bahn,
Belächelt der protzigen Rungholter Wahn.
Von Brasilien glänzt bis zu Norwegs Riffen
Das Meer wie schlafender Stahl, der geschliffen.
Trutz, Blanke Hans.

Und überall Friede, im Meer, in den Landen.
Plötzlich wie Ruf eines Raubtiers in Banden:
Das Scheusal wälzte sich, atmete tief,
Und schloß die Augen wieder und schlief.
Und rauschende, schwarze, langmähnige Wogen
Kommen wie rasende Rosse geflogen.
Trutz, Blanke Hans.

Ein einziger Schrei - die Stadt ist versunken,
Und Hunderttausende sind ertrunken.
Wo gestern noch Lärm und lustiger Tisch,
Schwamm andern Tags der stumme Fisch.
Heut bin ich über Rungholt gefahren,
Die Stadt ging unter vor sechshundert Jahren.
Trutz, Blanke Hans.


Trutz Blanke Hans ist das bekannteste Gedicht Detlev von Liliencrons (1844-1909). Es handelt vom Untergang der auf einer Nordseehallig gelegenen Stadt Rungholt. Diese Stadt gab es tatsächlich und sie soll außerordentlich wohlhabend gewesen sein. Im 14. Jahrhundert wurde sie von einer Sturmflut überrannt, in die Tiefe gerissen und vom Meer verschluckt.

Liliencron erfuhr von dieser Geschichte, nachdem er zum Hardesvogt der schleswigschen Wattenmeerinsel Pellworm, d. h. zum örtlichen Stellvertreter des zuständigen Landrats berufen worden war. Er bezeichnet in seiner Ballade die Nordsee als „Mordsee" und beschreibt den Atlantischen Ozean als wildes Tier, dessen Atem die Sturmfluten an den Gestaden der Nordsee auslöst. Der „blanke Hans" ist das personifizierte Meer und „Trutz" der Wille der Küsten- und Inselbewohner, seinen Wallungen zu trotzen.