2022 Sturmflut 1962

Historische Sammlung Haselau - Sonderausstellung 2022

„Die große Flut 1962“

Wie kam es zu der für Hamburg verheerenden Sturmflut am 16. und 17. Februar 1962 in
der Nordsee und der Elbe?

Sturmflut 1962 - eine chronologische Zusammenstellung
An den Unterläufen von Elbe und Weser sowie ihren damals noch ungesicherten Nebenflüssen
wurden hohe, vorher nicht beobachtete Wasserstände erreicht. Vor allem an den seit
der Flutkatastrophe von 1953 in Holland noch nicht erhöhten Deichen in diesen Flussgebieten kam
es zu schweren Schäden und zahllosen Deichbrüchen, wohingegen die Seedeiche trotz schwerer
Schäden bis auf wenige Ausnahmen den Fluten standhielten.

Vorbemerkung
Die Sturmflut vom 16./17. Februar 1962 fand in einer Zeit statt, in der die moderne
Informationstechnologie, Wasserstands- und Wettervorhersage noch nicht entwickelt war. Als
Kommunikationsmittel standen analoge Techniken in Form von Telefon, Fernschreiber und Funk
zur Verfügung. Als Bindeglied dienten Aushänge, Tageszeitungen, Luftschutzsirenen sowie
Lautsprecherwagen von Polizei und Feuerwehr. Als problematisch erwies sich auch immer wieder
der Umstand, dass noch in den 1960er Jahren die Stromversorgung mit Freileitungen erfolgte.
Diese technischen Rahmenbedingungen spielten bei der Sturmflut im Februar 1962 eine
bedeutende Rolle.

Entwicklung der Wetterlage
Der Orkan Vincinette, der in der Nacht vom 16. auf den 17. Februar 1962 eine, die gesamte
deutsche Nordseeküste treffende, Sturmflut auslöste, stand am Ende einer seit Dezember 1961
andauernden stürmischen Westwind-Wetterlage.

Montag 12. Februar 1962:
Die gesamte deutsche Nordseeküste war von einer schweren Sturmflut betroffen, mit
Wasserständen von etwa 2 Metern über dem mittleren Tidehochwasser.

Ein schwerer Orkan der Stärke 12 mit starken Regenschauern fegte über Uetersen, entwurzelte
Bäume und deckte ganze Dächer von Wohnblocks ab. Nach ersten Schätzungen lag der
Sachschaden bei rund 150.000 DM.

In Haselau richtete der schwere Sturm einen Schaden von etwa 20.000 DM am Turm
der Heilig Dreikönigskirche an.

Uetersen - Basshorn, ein Dach ist auf ein Auto gefallen
In Uetersen Basshorn wurde dieses Dach abgedeckt

Donnerstag, 15. Februar:
Um 21 Uhr wurde erstmals eine Sturmwarnung für die Nordsee mit Stärke 9 über Norddeich
Radio gesendet. In den späten Abendstunden wurde eine starke Windzunahme an der gesamten
deutschen Küste sowie eine Drehung von südwestlichen auf westliche Richtungen beobachtet, mit
Windgeschwindigkeiten jenseits des Messbereichs der damaligen Messgeräte auf.

Freitag, 16. Februar, Vormittag:
Mit Böen bis Windstärke 12 nähert sich der Orkan "Vincinette" der deutschen Nordseeküste. Das
Deutsche Hydrographische Institut (DHI) warnt vor einer schweren Sturmflut an der gesamten
Nordseeküste. Erste Orkanböen fegen über Hamburg hinweg.
Bereits am Freitagmorgen rechnete man an der Elbmündung in Cuxhaven mit einer schweren
Sturmflut. Der tosende Sturm sorgte für schwere Verwüstungen, er zerriss die schwere Ankerkette
des Feuerschiffs Elbe III, hohe Wellen brachten auch andere Schiffe in Seenot.

Sandsäcke müssen den Deich verstärken

Freitag, 16. Februar, Mittag:
Das Radio warnt bis zum Abend mehrfach vor einer "sehr schweren" nächtlichen Sturmflut an der
gesamten Nordseeküste.
In den Mittagsstunden drehte der Sturm auf nordwestliche Richtungen und nahm weiter zu, so
dass bei der, dem Mittagshochwasser folgenden Ebbe das Wasser nur unwesentlich fiel. In
Hamburg entsprach das gegen 20 Uhr eintretende Niedrigwasser etwa dem normalen
Tidehochwasser. Der Wind aus nordwestlichen Richtungen nahm noch einmal stark zu; dabei
wurden in den Seegebieten der Deutschen Bucht im Mittel Windstärken von 9 bis 10 Bft.
gemessen, in Böen 12 Bft.

Verlauf der Tide
Bei der Sturmflut vom 16. auf den 17. Februar wurde an allen Pegeln an der deutschen
Nordseeküste sowie an den Pegeln der ostfriesischen Inseln von Weser und Elbe sowie deren
damals noch nicht von Sperrwerken geschützten Nebenflüssen die höchsten je verzeichneten
Wasserstände festgestellt.

Mit der sich weiter verschlechternden Wetterlage und der Drehung des Windes auf Nordwest
wurde ein Ablaufen der mittäglichen Ebbe verhindert.

Freitag, 16. Februar, Abend:
Das Deutsche Hydrographische Institut (DHI) gibt Sturmflutwarnungen heraus.
Am Abend saßen die meisten Menschen vor dem Fernseher, es lief „Die Familie Hesselbach“, eine
sehr beliebte Serie. Draußen war es ungemütlich, doch das war zu dieser Jahreszeit nicht
ungewöhnlich.

Freitag, 16. Februar, 20.31 Uhr:
In Cuxhaven steigt das Wasser auf 4,60 Meter über NN, das bedeutet, dass die Flut in Hamburg
die Deichhöhe von 5,70 Meter erreichen könnte. Doch niemand erkennt die Gefahr für die
Hansestadt: Im Radio laufen weiterhin lediglich Sturmflutwarnungen für die Nordseeküste.

Freitag, 16. Februar, 21 Uhr:
Durch den Windstau werden immer größere Wassermassen in die Elbe hineingedrückt,
Sturmwellen laufen auf. Das DHI warnt vor Wasserständen bis 5 Meter über NN.

Freitag, 16.Februar, 21.28 Uhr:
Der Sturm schnitt die Telefon- und Fernschreibverbindungen zwischen Hamburg und Cuxhaven
ab, der elektrische Pegelstandsmesser versagte seinen Dienst. Hamburg konnte nicht mehr
gewarnt werden.

Freitag, 16.Februar, 22.15 Uhr:
In der Tagesschau wird eine Sturmflutwarnung mit einer erwarteten Höhe von 3,50 m gemeldet,
bezog aber Hamburg nicht mit ein. Die Bürger fühlten sich nicht betroffen, die Küste war 100
Kilometer entfernt und gehen wie an jedem anderen Abend ins Bett.

Freitag, 16. Februar, später Abend:
Langsam wird klar, dass mit den Wassermassen eine Katastrophe auf Hamburg zurollt. In halb
Norddeutschland ist der Strom ausgefallen.In den elbnahen Gebieten versuchen Polizei und
Feuerwehr, die Menschen direkt zu warnen, die Sirenen heulen. Im Hafengebiet und in
Finkenwerder werden Böllerschüsse abgefeuert, auch "Hochwasser schießen" genannt, in Stade
konnte der Hafenmeister nur zweimal feuern, dann spülte die Flut seine Kanonen aus dem 18.
Jahrhundert fort. Viele Menschen nehmen die Warnungen nicht ernst genug.

Die Stöpe in Haselau-Altendeich

Freitag, 16.Februar, 23 Uhr:
Zimmermeister Jan Otto Plump fordert in Uetersen Kies für die Schließung der Stöpen an.

Sonnabend, 17. Februar, kurz nach Mitternacht:
In Finkenwerder, Wilhelmsburg, Moorburg und Moorfleet läuft das Wasser über die Deiche und
beginnt sie von hinten auszuspülen. Die ersten Deiche brechen, weitere folgen im Minutentakt. Bis
0.30 Uhr sind es bereits über 50 Deiche.

Sonnabend, 17. Februar 0.30 Uhr:
Der Stichhafen in Uetersen läuft über, der Große Sand wird überflutet

Der überflutete Große Sand in Uetersen

Sonnabend, 17. Februar, 1 Uhr:
Die Kraftwerke Wedel, Schulau, Harburg und Neuhof sind überflutet. In weiten Teilen des
Stadtgebiets fällt der Strom aus, Hamburg liegt im Dunkeln. Bis 1.30 Uhr brechen weitere Deiche,
insgesamt sind es mehr als 60. Am Wilhelmsburger Spreehafen ergießt sich das Wasser in eine
tief liegende Kleingartenkolonie, reißt die einfachen Häuser mit sich fort und überflutet in kürzester
Zeit den gesamten Stadtteil.

Uetersen - überflutete Kleingärten

Sonnabend, 17. Februar, 2 Uhr:
Die Einsatzkräfte auf dem Deich vor der Haseldorfer Marsch stellen fest, dass das Wasser nicht
mehr steigt und sogar merklich fällt.

Von der Elbe wurde das Wasser mit einer Flutwelle in die Pinnau gedrückt, der Fluss wurde zum
reißenden Strom und überflutete von Stichhafen aus die Uetersener Innenstadt und die
Klosteranlagen. Ab Mitternacht bis vier Uhr morgens erreichte das Hochwasser den höchsten
Stand von 4,09 m NN . Am Pegel Pinneberg wurde am 17. Februar um 7:50 Uhr ein Höchststand
von 3,49 m ü. NN festgestellt.

Blick von Moorrege über die Pinnau auf Fa. Schaumann

Helfer von den umliegenden Feuerwehren, eine Staffel des Fluganwärterregiments vom
Fliegerhorst Uetersen, sowie unzählige freiwillige Helfer waren bis zum 28. Februar im Einsatz. In
der Nähe des Werksgeländes von Harles und Jentzsch war der Pinnaudeich auf vier bis fünf Meter
Breite zerbrochen. Mehrere Tage lang schleppten dort Freiwillige und Soldaten bis zur
Erschöpfung Sandsäcke, rammten Pfähle ein und legten Faschinen, um das Loch wieder zu
schließen.

Im weiteren Verlauf überflutete die Pinnau Teile von Pinneberg. Die „Pinnau-Siedlung“ der Stadt
wurde aus Sicherheitsgründen evakuiert. Die Bilsbek, ein Bach der Pinnau, überflutete große
Wiesengebiete in Prisdorf.

Sonnabend, 17. Februar, 3.07 Uhr:
Das Wasser hat seinen höchsten Stand erreicht: 5,70 Meter über NN am Pegel St. Pauli, so viel
wie nie zuvor.

Sonnabend, 17. Februar, 3.30 Uhr:
Das Wasser ist bis in die Innenstadt vorgedrungen, ist in U-Bahnschächte und den Alten Elbtunnel
eingedrungen. Noch immer brechen Deiche. 1.500 Soldaten und Polizisten sind im Einsatz,
kämpfen um jedes Menschenleben.

Am schwersten von der Sturmflut war die Dritte Meile des Alten Landes betroffen, die infolge der
großen Deichbrüche an der Alten Süderelbe bei Moorburg und Francop von hinten überflutet
wurde. Zudem brach am Rosengarten und im benachbarten Neuenfelde der Deich.
Schwere Zerstörungen erlitten die damals noch nicht durch Hauptdeiche gesicherten
Siedlungsgebiete auf der Elbinsel Krautsand und Gauensieckersand sowie in Freiburg/Elbe, wo
trotz sofort eingeleiteter Rettungsmaßnahmen Menschen in ihren einstürzenden, auf unzureichend
hohen Wurten errichteten Häusern ums Leben kamen.

Sonnabend, 17. Februar, 6.40 Uhr:
Der damalige Polizeisenator Helmut Schmidt trifft im Polizeipräsidium ein und übernimmt
provisorisch die Einsatzleitung. Er ruft, an vielen Regelungen und Gesetzen vorbei, Bundeswehr
und verschiedene NATO-Kräfte um Hilfe und begründet so den Mythos Helmut Schmidt..

Sonnabend, 17. Februar, Vormittag:
Aus Bückeburg treffen die ersten Hubschrauber ein. Sie sind trotz des Flugverbots, das wegen des
Orkans herrscht, gestartet. In den folgenden Stunden kommen immer mehr Hilfstruppen nach
Hamburg und nehmen ihre Arbeit auf. Die Trinkwasserversorgung ist zu 45 Prozent ausgefallen,
verschmutztes Wasser ist in die Rohrnetze eingedrungen.

Sonnabend, 17. Februar, Nachmittag:
Per Hubschrauber haben Helfer bereits Hunderte Menschen von Dächern und aus Häusern
gerettet. Doch Tausende warten weiter auf Hilfe. Englische, US-amerikanische, belgische,
dänische und holländische Hilfstruppen treffen in Hamburg ein.

Sonnabend, 17. Februar, Abend:
Unter Führung von Helmut Schmidt tritt der Einsatzstab zusammen, koordiniert die wichtigsten
Hilfsmaßnahmen, wie Rettung der Eingeschlossenen, Verpflegung der Obdachlosen und
Impfungen, um Seuchen vorzubeugen. Noch immer ist unklar, wie viele Deiche gebrochen sind
und wie viele Menschen sich noch in Gefahr befinden.

Während die schleswig-holsteinischen Elbdeiche keine Deichbrüche erlitten, wurden die 1962
noch nicht von Sperrwerken geschützten Niederungen von Stör, Krückau und Pinnau mit ihren
unzureichenden Deichen schwer betroffen. In Itzehoe, Elmshorn und Uetersen entstanden
schwere Schäden. Aufgrund der rechtzeitigen Warnung der Bevölkerung und dem rechtzeitigen
Alarmieren der Einsatzkräfte war nur ein Menschenleben zu beklagen.

Zerstörungen auf Idenburg (Bild Sammlung Annegret Hamster)

Nur durch den gemeinsamen Einsatz der Bundeswehr mit etwa 1500 Soldaten, der Deichwehren
und Freiwilligen Feuerwehren, des Technischen Hilfswerks und vieler sonstiger freiwilliger Helfer
wurde eine komplette Überschwemmung verhindert. Insgesamt wurden rund 300.000 Sandsäcke
bewegt. Nur das Vorland und die Bauernhöfe von Idenburg und Giesensand im Hetlinger Vorland
wurden meterhoch überflutet. Das Hochwasser erreichte hier mit 5,83 m ü. NN Haseldorfer
Hafen seinen höchsten Stand.

Montag, 26. Februar:
Auf dem Hamburger Rathausmarkt versammeln sich rund 150.000 Menschen und gedenken der
Opfer. Um 17 Uhr läuten alle Kirchenglocken der Stadt. Insgesamt hat die Flutkatastrophe in der
Hansestadt 315 Menschenleben gefordert, unter den Toten sind auch fünf Helfer.

Zusammengestellt von Rolf Herrmann, Verein für Sammlung und Erhalt historischer Gegenstände,
2022, unter Verwendung von Sturmflut in Hamburg - eine Chronologie aus Archiv NDR, 2020,
Hamburgs Untergang von Nadine Helms, 2012 und Sturmflut 1962 aus Wikipedia.

Wetterlage am 16. und 17. Februar 1962

16.02.1962

Die Wetterlage am 16.02.1962 um 01 Uhr MEZ

Wetterlage 17.02.1962

Die Wetterlage am 17.02.1962 um 01 Uhr MEZ. Die beiden Karten zeigen die Wetterlage am 16. und 17. Februar 1962, als ein Orkantief über Skandinavien zur Ostsee zog und das zugehörige Sturmfeld die Nordsee und Norddeutschland voll erfasste.

Wirkung unterschätzt

Wetterlage 16./17.02.1962:
Bereits Tage zuvor zogen mehrere Sturmtiefs vom Seegebiet südlich Islands zur nördlichen Nordsee und weiter nach Skandinavien. Bei großen Temperaturgegensätzen entstand dann am 15. Februar ein Orkantief, das unter Verstärkung über das Nordmeer und das südliche Skandinavien nach Osten bis Südosten zog. Am späten Nachmittag des 16. überquerte die zugehörige Kaltfront Norddeutschland mit zahlreichen Gewittern. Dahinter drehte der westliche Wind auf Nordwest und erreichte in Böen auch im Binnenland verbreitet Orkanstärke. Bei dieser Windrichtung drückte der Wind immer mehr Wasser in die Elbmündung. Diese Wirkung wurde unterschätzt und erst gegen 20:30 Uhr wurde das Fernsehprogramm des NDR unterbrochen. Als dann kurz nach 22 Uhr das Wasser in Cuxhaven über die Deichkrone in die Innenstadt lief, war klar, dass für Hamburg schlimmeres drohte. Die hohen Wasserstände resultierten vor allem durch die lang anhaltenden Nordwestwinden, kurz vor Vollmond (19.02., 14:17 Uhr MEZ). Zwei Tage später wäre die Flut noch höher aufgelaufen.